Der Tagesablauf eines Landarbeiters bzw. Landarbeiterin in Grössin auf dem
Rittergut Seidel
Die betriebliche Organisation war so aufgebaut, einen möglichst reibungslosen Arbeitsablauf sicherzustellen.
An der Spitze der Verwaltung stand seit 1919 Paul Schwandt. Ihm nachgeordnet war der Hofmeister, Paul Andrae Vorgänger Hermann Gluth. Vorarbeiter für die Männer war Gustav Schimmelpfennig, für die Frauen L. Pommerening. Für die Viehställe waren verantwortlich:
Rinder: Jandt, Vorgänger Kesterke, Zibell
Schweine:, Otto Schmidt, Vorgänger Hermann Blank
Schafe: August Guse, Vorgänger Höpfner, Walter Abrahams,
Für die Pferdeknechte und Gespannführer: Emil Waskow.
Die überwiegende Anzahl der berufstätigen Männer und Frauen war natürlich mit den üblichen landwirtschaftlichen Arbeiten, bedingt durch die Jahreszeit, beschäftigt.
Die Art der Arbeit, Zahl der erforderlichen Leute etc. wurde für jeden Tag in aller Frühe von Herrn Schwandt mit dem Hofmeister Paul Andrae durchgesprochen und bestimmt. Dieser machte sich gegen 5.30 Uhr auf den Weg durch das Dorf , klopfte an ein straßenseitiges Fenster der Wohnungen und teilte jedem in Frage kommenden Angehörigen die anstehende Arbeit für den Tag mit.
Die Leute versahen sich mit der zweckmäßigen Arbeitsbekleidung, Frühstücksbrot sowie erforderlichem Arbeitsgerät . Dieses mußte von jedem selbst gestellt und im gebrauchsfähigem Zustand gehalten werden.
Um 5.45 Uhr wurde an einer freischwebende aufgehängten eisernen Pflugschar mittels zweier kleiner Eisen – Hämmer „aus dem Handgelenk“ die Klapper geschlagen. Das Klappern konnte im ganzen Dorf gut gehört werden. Es war das Signal: In 15 Minuten Arbeitsbeginn !
Um 6.00 Uhr Treffen am vereinbarten Platz zum Abmarsch zur Arbeit. Die Wegezeit war Arbeitszeit. Bis ins Balsdreyer oder Teschenbuscher Gebiet war fast eine Stunde zu gehen. Auch der Weg zu den Regawiesen gehörte dazu. Am Arbeitsplatz angekommen, übernahmen die Vorarbeiter die Einteilung der Arbeit.
Da sie selbst mitarbeiteten, richteten sich die übrigen nach dem von ihnen vorgegebenen Arbeitstempo.
Der Hofmeister hielt sich meist bei der größten Gruppe der Arbeitenden auf. Er brauchte als einzige Person auf dem Gut nicht manuell mitzuarbeiten. Er hatte eine reine Kontrollfunktion, ob jeder die ihm zugeteilte Arbeit sach – und fachgerecht ausführte. Falls er Mängel feststellte, konnte Nacharbeit verlangt werden.
Nach dem Motto“ Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ machte praktisch täglich Herr Schwandt, der Verwalter, per Reitpferd die Runde.
Nun die Tageszeiteinteilung:
6.00 Uhr – 9.00 Uhr Arbeitszeit
9.00 Uhr – 9.30 Uhr Frühstückspause
9.30 Uhr – 12.00 Uhr Arbeitszeit
12.00 Uhr – 13.30 Uhr Mittagspause
13.30 Uhr – 16.00 Uhr Arbeitszeit
16.00 Uhr – 16.30 Uhr Vesperzeit
16.30 Uhr – 18.30 Uhr Arbeitszeit = 10 Stunden
Dazu konnte, je nach Dringlichkeit, täglich eine weitere Stunde – oder mehr – verlangt werden . Dies war meist in den Sommermonaten der Fall, wo man gerne mehr Freizeit gehabt hätte.
Es ist also ersichtlich, daß die tägliche Arbeitsdauer je nach Jahreszeit und Art der Tätigkeit unterschiedlich war. Die zuvor angeführte Tageszeiteinteilung galt für die Monate:
April – Oktober täglich 10 Stunden
November „ 9 Stunden
Dezember „ 8 Stunden
Januar „ 7 Stunden
Februar „ 8 Stunden
März „ 9 Stunden
jeweils einschließlich Samstag.
Für die in den Viehställen eigenverantwortlich Tätigen ergaben sich durch die Tiere auch abweichende Arbeitszeiten, z.B. Melken der Kühe, Wachen bei Krankheit und Hilfe bei Geburten auch des Nachts.
Die wohl längste Arbeitszeit auf dem Gut hatten zweifellos die Gespannführer ( ein Gespann bestand aus drei Pferden) zu leisten. Und so sah ein Werktag aus:
4.00 Uhr Im Pferdestall. Der Gespannführer entnimmt seiner Futterkiste die vom
Futtermeister nach Anweisung des Verwalters zugeteilte Ration und
füttert die Pferde. Anschließend Ausmisten, Pferde tränken.
Danach zum eigenen Frühstück nach Hause. Zurück in den Stall, Tiere
putzen und striegeln, Geschirr auflegen.
Arbeitseinteilung durch den Verwalter Paul Schwandt oder Gespannmeister Emil Waskow, Anspannen, Ausritt.
6.00 Uhr Aufbruch zur Arbeit.
8.30 Uhr – 9.30 Uhr Frühstück auf der Arbeitsstelle.
Rechtzeitiger Aufbruch zur Mittagspause, damit um 12.00 Uhr der Hof
erreicht wurde.
12.00 Uhr – 13.30 Uhr Mittagspause. Zuvor Füttern und Tränken der Tiere. Wiederaufnahme der Arbeit.
16.00 Uhr – 16.30 Uhr Vesperzeit. zum Feierabend Abfahrt vom Feld , damit um 18.30 Uhr der Hof erreicht wurde. Versorgung der Tiere.
21.00 Uhr Die Pferde bekommen Heu. Erst jetzt ist Feierabend.
Die Arbeit früh vor 6.00 Uhr sowie nach Feierabend wurde extra bezahlt, da sie außerhalb der normalen Arbeitszeit erfolgte. Pro Werktag 25 Reichspfennig, an Sonn- und Feiertagen 50 Reichspfennig .
Bei der Entlohnung wurde unterschieden zwischen:
1. Deputatarbeitern = Deputat + niedriger Lohn
2. Fremdarbeitern = geringeres Deputat + höherer Lohn
3. Stundenweise – und Saisonbeschäftigte = kein Deputat, höherer
Stundenlohn oder Akkordentlohnung
Die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer befand sich in der ersten Gruppe. Der „größte „Brocken“ im wahrsten Sinne des Wortes war das Deputat. Es betrug jährlich
für das Familienoberhaupt für den 1 . bzw. 2. Hofgänger
24 Zentner Getreide 12 Zentner Getreide
50 Zentner Kartoffeln 25 Zentner Kartoffeln
20 Zentner Kohlen 10 Zentner Kohlen
4 Raummeter Holz 2 Raummeter Holz
Auch wurde mietfrei eine Werkswohnung mit Speicher und Keller gestellt. Dazu gehörte auf der Hofseite der Häuser jeder Familie ein Anteil am Stallgebäude. Hier waren 2-4 Schweine und auch Federvieh untergebracht. Abgetrennt davon war die Toilette. Neben dem Stallgebäude war noch ausreichend Platz für kleine Schuppen zur Aufbewahrung von Gerätschaften, Werkzeug, Brennholz sowie für Kleintierhaltung.
Gestattet war die Aufzucht von Gänsen, für die Benutzung der Weide mußte jede 7 Gans als Pacht abgegeben werden Für 10 Gänse = 1 Tag Hütung im Wechselverbund. Weiter konnte jede Familie 1-2 Kühe halten, die vom Gut betreut und kostenlos gefüttert wurden. Die 2. Kuh konnte verkauft werden.
Auch Schafhaltung war für Wollgewinnung möglich (2 Mutterschafe, Verkauf des „Nachwuchses“ ).
Pro Familie standen 1.250 qm Gartenland zur Verfügung.
An festgesetzten Tagen konnte im gutseigenen Backofen Brot gebacken werden . Kosten für die Mitbenutzung des Ofens entstanden nicht.
Der Stundenlohn eines Deputatarbeiters betrug 0,07 Reichsmark oder 7 Pfennig.
Die Deputatarbeiterinnen erhielten 5 Pfennig pro Stunde. Wenn eine Familie mehr als 3 erwachsene Arbeiter stellte, konnte einer als Fremdarbeiter entlohnt werden. Das bedeutete mehr Geld und Naturalien.
Die Frauen, die nur stundenweise arbeiteten und somit kein Deputat bekamen, wurden mit 20 Pfennig pro Stunde entlohnt. In der Erntezeit, z.B. bei der Kartoffelernte, wurde ganztags im Akkord gearbeitet und relativ gut verdient.
Was die für die Nutztierhaltung zuständigen Arbeiter neben dem Deputat für einen Lohn erhielten, war Außenstehenden nicht bekannt. Man erfuhr nicht, was sie zusätzlich für gute Aufzucht oder für jedes verkaufte Stück Vieh erhalten haben.
Für die Schulentlassenen begann das Arbeitsjahr als Lehrling in der Landwirtschaft am 1. April. Männliche und weibliche Lehrlinge in der Landwirtschaft bekamen das volle Deputat. An Lohn erhielt der männliche 6 Reichsmark pro Monat, der weibliche 4 RM. Der Lohn erhöhte sich für beide halbjährlich um 2 RM. Die Ausbildung dauerte 2 Jahre.
Heute kann man wirklich nur den Kopf schütteln, welche Arbeitsleistungen der Landarbeiter erbringen mußte für eine geringe Entlohnung. Was er an Bargeld bekam, hätte selbst bei bescheidensten Ansprüchen nicht gereicht, wenn nicht jede Familie nebenbei Vieh gefüttert hätte. Seien es Hühner, Gänse, Enten, Kaninchen, Schweine, Schafe oder alle 2 – 3 Jahre eine Kuh, wenn man Glück mit der Aufzucht hatte. Dies waren die hauptsächlichen Einnahmen an Bargeld für die Landarbeiterfamilien.
Aber zu der Zeit hat keiner etwas anderes gekannt, und somit war man mit seinem Lohn zufrieden. Zu essen und zu trinken war immer da.
Ein besonderer Tag im Jahr war Altenfest im Sommer und das Erntefest im Herbst. Abends war Musik und Tanz auf dem Dorfsaal, und Freibier gab es auch, beim Erntefest spielte die Stadtkapelle Zummach.
Vor 1935 gab es keinen Anspruch auf Urlaub. Nach dem neuen Tarif für Landarbeiter. der in der Hitlerzeit 1935 ausgehandelt wurde, war ein bezahlter Urlaub von 6 Werktagen vorgesehen. Dieser wurde in den meisten Fällen von den Beschäftigten jedoch nicht genommen und durch Geldzahlung abgegolten.
Quelle:
Günther Kohls, Heimatbuch Grössin