Das verschwundene Kirchensilber aus Rarfin und Podewils

Pastorin Erika Henning in der Pommerschen Zeitung v. 8. Februar 1997

In unserem Pfarrhause in Rarfin wohnten um die Mitte des Jahres 1945 noch Flüchtlinge aus Ostdeutschland, die versorgt werden mußten. Eines Nachts wurde unser schlachtreifes Schwein aus dem Stall gestohlen und die gesamte Wäsche, die in der Waschküche in der Wanne in Buchenasche eingeweicht war. Es war mehr als ein Schock für mich, und mir wurde klar, daß wir den Winter 1945 / 46 mit damals sechs kleinen Kindern im Alter von drei Monaten bis sieben Jahren in Rarfin nicht überstehen könnten.

Meine Kinder hatten inzwischen Ruhr und Krätze, und eines Tages vertraute mir der Pole Tatisch an, der Knecht seit 1939 bei einem Bauern gewesen war und von mir viel Hilfe erfahren hatte, daß ich und sämtliche Bauernfamilien demnächst ausgewiesen würden; den Tag wusste er noch nicht. Er riet mir dringend, mich darauf vorzubereiten. Ich ging am gleichen Tag zu den Bauern unseres Dorfs und warnte sie. Sie aber lachten mich aus. Wir im Pfarrhaus dagegen, bereiteten uns vor, unser Haus zu verlassen.

Die Kinder wurden abends in voller Montur ins Stroh zum Schlafen gelegt. Sie hatten Mützen, Mäntel, Handschuhe und Schuhe an. Um den Hals trugen sie Schilder über Herkunft und Ziel, und außerdem hatten sie kleine Rucksäcke für das Wichtigste.

Eines Nachts trugen die Kirchendienerin Frau Schulz, meine Haushaltshilfe Edith Nöcke und ich die 14 schweren ledergebundenen Kirchenbücher der Pfarrämter Rarfin und Standemin, zu denen die vier Kirchen Rarfin, Podewils, Standemin und Klein Reichow gehörten, in den Heizungskeller der Kirche Rarfin. Dort wollten wir die Kirchenbücher vor dem Zugriff der Polen retten. Ebenfalls brachten wir das Tafelsilber der Grafen Herzberg in den Keller der Kirche. Der Einstieg in den Keller war nicht von außen erkennbar; es lag eine Roste darüber und der lange Kirchenläufer. Damals glaubten wir noch, bald zurückzukehren und alles Versteckte wiederzufinden.

Schon bei unserem ersten Besuch in unserer pommerschen Heimat mußten wir feststellen, daß die Kirchenbücher verschwunden waren. Niemand wusste, seit wann und wohin sie gebracht worden waren. Alle Nachforschungen bei Sammelstellen blieben erfolglos.

Bei einem weiteren Besuch in Rarfin 1994 erfuhren wir von dem Sohn unseres früheren Melkermeisters, dem Schweizer Schenk, daß sein verstorbener Vater und seine Schwester Tui vor ihrer Vertreibung aus Pommern im Jahre 1946, die sakralen Geräte der Kirche in zwei großen Milchkannen nächtlich am Krummen Wasser vergraben hatten. Der Sohn Heinz brachte auch seine Skizze der Vergrabungsstelle mit.

Als meine Tochter Bärbel und ich, mit Spaten bewaffnet, dort gruben, um den „Silberschatz“ zu bergen, fanden wir nichts. Von den polnischen Bewohnerinnen des Pfarrhauses Rarfin erfuhren wir dann durch unsere Dolmetscherin, daß die beiden Milchkannen, in denen die Geräte der Kirche vergraben gewesen sein sollen, schon vor 30 Jahren entdeckt und der Inhalt nach Stolp ins Museum gekommen sei.

Ich teilte diese Neuigkeit unserem Vorsitzenden des Heimatkreises Paul Dallmann mit. Er ging den Dingen nach und fand die Äußerung bestätigt. Ich hatte immer angenommen, daß es sich bei dem Inhalt der Milchkannen um die Geräte auf dem Kirchenaltar handelte und die zwei silbernen großen Leuchter und das Silberne Kreuz. Aber wie sich nun herausstellte, handelte es sich um folgende Stücke:

Einen Abendmahlkelch, Silber vergoldet, von 1651 aus Rarfin; eine größere Kanne ( ca. 30 cm hoch ), für Wein; Silber, aus Podewils; zwei kleinere silberne Oblatendosen aus Podewils; zwei weitere Geräte existieren auch noch, sind aber stark beschädigt, und daher nicht ausgestellt ( welche ? ).

Diese Stücke wurden bis zu unserer Vertreibung in dem sog. Kirchenschrank in unserem Pfarrhaus verwahrt und nur bei Gebrauch in der Kirche mitgenommen. Bei den dort im Stolper Museum ausgestellten Gegenständen fehlen noch zwei kleine Rarfiner Kelche und außerdem die große ständig benutzte Oblatendose. Die wunderschöne, jetzt im Stolper Museum ausgestellte Amphore wurde nicht von uns benutzt. Sie stand nur im Schrank – schon vor meiner Zeit in Rarfin. Uns dienten seit meinem Dasein in Rarfin bei Abendmahlfeiern – viermal im Jahr: Gründonnerstagabend, Karfreitag, Bußtag und Totensonntag – nur der goldfarbene Kelch, die große Oblatendose und mein Zinnkrug zum Auffüllen des Kelches.

Als wir jetzt im Juli 1996 auf unserer Heimatreise mit Paul Dallmann im Stolper Museum die sakralen Geräte besichtigten, war es für mich ergreifend, die goldfarbenen Abendmahlkelche wieder zu sehen. Ich hatte den Kelch so oft putzen müssen, weil er immer wieder „anlief“, wie man sagt, und doch blank sein sollte ! Ich hatte so vielen Menschen damit das Abendmahl gereicht, nicht nur mit Wein, sondern später in der schlechten Zeit mit Most und zuletzt mit klarem Wasser, und als Ersatz für Oblaten mit kleingeschnittenem Brot.

Manchmal habe ich den Kelch auf meinen Wanderungen mitgenommen, z.B. nach Standemin. Jetzt hätte ich den Kelch am liebsten mit nach Hause genommen, um ihn zu verwahren wie eine Reliquie.