Groß Tychow, das wohl größte Dorf im Kreis Belgard, liegt achtzehn Kilometer südöstlich der Kreisstadt zwischen Leitznitz und Hasselbach an der Bahnstrecke Kolberg – Neustettin – Posen. Zur Gemeinde mit dem früheren Allodial-Rittergut und eigener Pfarrkirche gehören noch die Vorwerke Johannsberg (auch Hansberg genannt), Papwiese, Wilhelmshof, Marienhof, Bamnitz, Charlottenaue, Flachsland und Vogelsang. Groß Tychow ist ein typisches Straßendorf, umgeben von Wiesen, Äckern und ausgedehnten Mischwäldern. Die Holzungen längs des Hasselbachs tragen die Bezeichnungen Flachsland, Bamnitz und Zülow. Das überwiegend ebene Gelände wird durch einige Hügel aufgelockert. Durch seine Lage im Mittelpunkt zwischen den Städten Belgard, Köslin, Bublitz und Bad Polzin hat sich Groß Tychow zum Hauptverkehrsplatz und Versorgungszentrum für die umliegenden ländlichen Gemeinden entwickelt. 1939 zählte die Gemeinde 2019 Einwohner in 555 Haushaltungen, das Gemeindegebiet umfasste 3766,1 Hektar.
Groß Tychow ist ein ursprüngliches Siedlungsgebiet der Familie von Kleist. Urkundlich wird der Ort erstmalig im Jahr 1250 erwähnt und gemeinsam mit dem ebenfalls Kleistschen Besitz Dubberow als steuerpflichtig an das Schloss in Belgard bezeichnet. Seit 1540 wird er im Gegensatz zum ebenfalls Kleistschen Wendisch- und Woldisch Tychow zunächst »Groten Tichow« genannt. Nach ihm nennt sich der Tychower Zweig der Familie von Kleist, der heute noch in der Nebenlinie des Grafen Kleist-Zützen fortbesteht. Der größte Teil des Gutes ist schon in alter Zeit stets im Besitz des Geschlechts von Kleist gewesen. Es bestand einst aus drei Anteilen, von denen zwei von Kleistsche und das dritte ein von Versenschen Lehen waren. Nachdem die Rechte der Familie von Versen gerichtlich aberkannt worden waren, kaufte Frau Marie Charlotte von Kleist, geborene Retzow, diesen Teil auf. Nach dem Tod ihres Gatten übernahm sie auch dessen beide Gutsanteile und vereinigte sie zu einem Ganzen. Nach ihrem Tod im Jahr 1781 übernahm der Sohn und damalige Landrat Hans Jürgen von Kleist-Retzow das Gut. In den schweren Jahren des napoleonischen Krieges 1809 wurde er zum Verkauf gezwungen. Da aber ein Drittel der Kaufsumme stehen blieb und der Erwerber die Zinsen nicht zahlen konnte, mußte der Landrat 1826 das Gut unter Belastung seines übrigen Vermögens zurückerwerben. In dieser Linie verblieb es bis Kriegsende 1945.
In Groß Tychow ist inmitten des Friedhofs der größte erratische Findling Norddeutschlands zu finden. Der Felsblock hat eine Höhe von drei Metern und etwa fünfzig Meter Umfang, er besteht aus granitreichem Gneis. Der weitaus größte Teil des Steines liegt unter der Erdoberfläche verborgen, sein Rauminhalt wird auf insgesamt etwa 700 m3 geschätzt. Ein weiteres Naturdenkmal ist der so genannte »Krause Baum« an der Johannsberger Chaussee. Er stammt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und überragte früher majestätisch die Allee-Lindenbäume.
Die Kirche stammt in ihrem Ursprung aus dem Mittelalter; sie ist im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut worden. Während der untere Teil des Turmes aus Feldsteinen erbaut wurde, bestehen die obere Turmhälfte und das Kirchenschiff aus Fachwerk mit Ziegelmauerwerk. Die Kirche befindet sich in einem guten Zustand, sie zählt heute noch zu den Schmuckstücken in Pommern. Der Altar trägt mehrere spätmittelalterliche Holzfiguren, Empore und Grafen-Loge sind nicht mehr vorhanden. Der Turm trägt eine Wetterfahne mit der Jahreszahl 1811. Als die Kirche 1976 umgebaut wurde, verlegte man den Eingang des nunmehr katholischen Gotteshauses an die Ostseite des Gebäudes; die Backsteinwände wurden verputzt. Das gut erhaltene Pfarrhaus dient heute noch dem katholischen Geistlichen als Wohnung; das 200 Jahre alte Stallgebäude befindet sich heute in schlechtem baulichen Zustand. Letzter deutscher Seelsorger war Pastor Werner Braun, während des Krieges wurde er von Fräulein Schwarz vertreten.
Der Kindergarten war im Jugendheim an der Schützenstraße untergebracht. Nachdem der alte Sportplatz zwischen Bahnhofstraße und Burzlaffer Chaussee nicht mehr nutzbar war, wurde am Zarnekower Weg ein neues Sportgelände angelegt. 1933/1934 wurde auf dem Gelben Sand, einem Waldstück am nordöstlichen Dorfrand, ein RAD-Lager errichtet. Eine der ersten Baumaßnahmen der RAD-Männer war das Freibad in der Nähe des Lagers.
Das Amt des Bürgermeisters hatte bis 1936 Rudolf Treichel inne, ihm folgten Karl Reinke (bis 1942) und Paul Pitann. Ortsbauernführer war Albert Priebe. An der Groß Tychower Schule unterrichteten in den letzten Jahren Hauptlehrer Hans Rühlow und die Lehrkräfte Hedwig Daske (bis 1937), Erich Ketelhut (bis 1938), Emilie Kiekow, Otto Kupper, Emil Münchow und Ilse Pagel. Das Vereinsleben am Ort gestalteten der Fußballverein »Germania 29«, Turnverein »Jahn«, Gesangverein, Schützenverein und Freiwillige Feuerwehr. (Weitere Einzelheiten hierzu und über die ortsansässigen Handwerks- und Gewerbebetriebe kann der interessierte Leser dem Buch »Groß Tychow in Pommern – Bilder und Erinnerungen« von Gerhard Rühlow, Steinfurt 1986, entnehmen.).
Im Winter 1944/1945 zogen Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen und zurückweichende Truppenverbände durch den Ort. Für Groß Tychow selbst kam der Treckbefehl bzw. der Aufbruch der Einzelgruppen Anfang März 1945 zu spät. In Standemin und Treptow wurden die Trecks von der russischen Front überrollt und zur Umkehr gezwungen. 1946, nach dem Ende der Vertreibung, lebte kaum noch ein Deutscher im Ort.
Auch heute noch führen prächtige Alleen aus allen Richtungen in das von den Polen in Tychowo umbenannte Groß Tychow. Der »Krause Baum« ist von den anderen Alleebäumen eingeholt worden, sein dicker Stamm wird von einer Eisenklammer zusammengehalten. Auf dem früheren Gut ist das Kombinat Tychowo untergebracht, das Schloss wurde abgerissen, im Gutspark entstand eine Landwirtschaftsschule. Die Leichenhalle auf dem Friedhof blieb im Gegensatz zu deutschen Gräbern erhalten. Viele vertraute Gebäude sind aus dem Ortsbild verschwunden. Westlich der Neustettiner Straße wurden große Wohnblocks errichtet; auch im Ort selbst fallen einige Neubauten auf. Heute ist Groß Tychow eine polnische Kleinstadt mit etwa 3000 Einwohnern.
Quellen:
Der Kreis Belgard, S. 393 – 395
Berghaus, Landbuch des Herzogtums Kaschubien
Die Gedenkstätte in Groß Tychow
Nachnamenverzeichnis des Konfirmationsregisters 1839 – 1854
Der Separationsrezess von 1806
Rezess über die Separation der Pfarrgrundstücke Groß Tychow 1832
Verzeichnis der Haus- und Grundbesitzer Groß Tychow 1875
Die Mitglieder des Gemeindekirchenrates der Parochie Groß Tychow 1880