Belgard und der Belgarder Distrikt am Ausgang des dreissigjährigen Krieges

Von Emil Gohrbandt, Stettin

Aus dem Lande Belgard, 17.Jg.1938 Nr.23-24, 18.Jg.1939 Nr.1

Durch den Krockowschen Einfall in Pommern im Jahre 1643 schlug gegen Ende des Krieges noch einmal eine verheerende Welle aus dem Reich nach unserer Heimat und traf Hinterpommern schwer. Im Mittelpunkt dieses Einfalls stand Belgard und seine nähere Umgebung. Hier in der Stadt und außerhalb der Mauern lag Krockow vom 9.September bis zum 12.November 1643. Es soll nun nicht unsere Aufgabe sein, die sich hier abspielenden Kämpfe zwischen den Kaiserlichen und Schweden zu verfolgen oder gar die Drangsalierung der Bevölkerung durch diesen Einfall zu schildern. Das eine ist durch Professor Klage in Kolberg in eingehender Weise geschehen, und das andere setzen wir auf Grund der in den „Monatsblättern“ bereits erschienenen zahlreichen Abhandlungen als bekannt voraus. Uns interessiert vielmehr die Frage, hat dieser Einfall für das betreffende Gebiet Spuren hinterlassen, die sich so leicht nicht auswischen ließen, ja die wir heute noch im Siedlungsbilde erkennen können ?

Auf den ersten Augenblick erscheint uns diese Frage überflüssig. Wie will man heute nach 300 Jahren noch nach Spuren suchen, die eine solche kleine Episode aus dem gewaltigen Kriegsringen hinterlassen hätte? Ja, wenn wir uns mit der Umgebung von Kolberg beschäftigten, die in Kriegszeiten wiederholt zerstört worden ist ! Und doch ist siedlungsgeschichtlich der Einfluß des Krockowschen Einfalls für die Umgebung von Belgard nachhaltiger gewesen als die Belagerungen von Kolberg. Durch den 30jährigen Krieg ist weder im Kolberger noch im Belgarder Gebiet eine einzige Siedlung verschwunden. Wo sie zerstört wurden, erfolgte ihr Wiederaufbau. Nur in der Art ihres Neuentstehens ist ein wesentlicher Unterschied, und dieser vergrößerte sich, je öfter das Kolberger Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ausschlaggebend waren dabei die besitzrechtlichen, wirtschaftlichen und zeitlichen Verhältnisse. Die Ortschaften um Kolberg wurden nach dem siebenjährigen Kriege durch die Fürsorge des großen Königs wieder aufgebaut, ja zum Teil erweitert, und in dieser Vergrößerung entstanden sie auch wieder nach der Belagerung von 1806 / 07. Die Verwüstungen der Siedlungen um Belgard im 30jährigen Kriege, besonders durch den Krockowschen Einfall, sind nur zum Teil wieder gut gemacht worden.

Vielfach blieb eben der Rest erhalten und fristete sein Dasein weiter. In andern Fällen entstand aus der Asche das Dorf von Neuem, aber so armselig, daß es nicht wieder zu erkennen war.

Nach dem Abzug der Krockowschen Truppen zeigten sich die Schäden in erster Linie durch den Ausfall der Steuern, besonders der Kontribution. Die schwedische Regierung sah sich dadurch 1645 genötigt, für den Belgarder Distrikt eine „Quartier-Revision auf dem Lande“ vorzunehmen. Gleichzeitig wurde auch auf die Stadt die Untersuchung ausgedehnt, um auch hier die Schäden und den Steuerausfall festzustellen. Das noch vorhandene Quellenmaterial über diese Untersuchungen gewährt uns einen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse jener Zeit. Es ist auch wertvoll für die Familiengeschichte und Sippenforschung, bringt es uns doch die Namen derjenigen Familien, die bis dahin einer Besteuerung unterlagen.

Beginnen wir mit der

Stadt Belgard

Da haben wir ein

Verzeichnis der zu Belgard annoch wohnenden contribuenten, wie sich selbige jetzo 1645 befinden mit der contribution

Das Verzeichnis bringt die steuerfähigen und von der Steuer befreiten Bürger nach den Vierteln der Stadt.

Hieran schließt sich ein

Verzeichnis der zu Belgard abgegangenen Stadt Contribuenten, wie sich selbiger Abgang jetzo 1645 oculariter befindet

Auch hier erfolgt die Aufzählung nach den vier Quartalen. Dazu kommen noch die beiden Vorstädte, die bei der Besteuerung vollständig ausfallen. Im Verzeichnis erscheinen die befreiten Bürger noch einmal.

Ueber die Größe der einzelnen Häuser und Hausstellen (Erbe) erfahren wir in dem Verzeichnis leider nichts. Die Summe beträgt 388. Zum Vergleich ziehen wir die Hufenmatrikel von 1628 heran. Nach dieser hatte Belgard: 101 Häuser Erben a 1 Fl., 151 Buden Mittel Erben a 1/2 Fl., 144 Keller a 8 gr., 5 Kotzen a 4 gr., also 401 Wohnhäuser.

An die beiden vorhergehenden Verzeichnisse schließen wir noch eine

Specification der von Soldaten niedergebrochenen Scheunenhöfe und Zimmer

Diese lagen zum größten Teil auf der Heidtorschen, zum kleinen Teil auf der Mühlentorschen Vorstadt. Es sind nicht allein Scheunen, sondern vielfach ganze Höfe, die in ihrer Bauart an die Bauernhöfe in den Dörfern erinnern, mit Torhaus und Ställen, darum mit Recht die Bezeichnung „Scheunenhöfe“. Solche finden wir im 16. und 17. Jahrhundert überall im hinterpommerschen Küstengebiet vor den Toren der befestigten Städte. Bei kleinen Städten ohne Stadtmauern waren sie mit dem Wohnhaus zu den üblichen Bauernhöfen vereinigt. So sehen wir in früheren Jahrhunderten einen einzigen volkstümlichen Bau in Stadt und Land. Bedingt war dieser durch die einheitliche Bevölkerung. [ …. ]

Die Heidtorsche Vorstadt muß zu damaliger Zeit einen bedeutenden Umfang gehabt haben, befanden sich hier doch eine Reihe Erben. Im Scheunenviertel gab es vier enge Straßen, die als Gänge bezeichnet sind.

Die Feststellung der verwüsteten Scheunenhöfe wird bezeugt von Daniel Krüger, Brauer Aeltester, Carsten Mallüje Grobschmied-Aeltester, Emerich Krasset, Haken-Aeltester, Hinrich Meyer sen., Brauer, Carsten Zülcke, Brauer, Jacob Steffen Brauer, Daniel Gernerich, Schul- und Kirchendiener.

Die Ortschaften des Belgarder Quartiers

In der Quartier-Revision von 1645 werden die einzelnen Ortschaften des Distrikts nach den Besitzanteilen untersucht, dabei die besetzten und wüsten Stellen aufgeführt, zum größten Teil auch die Namen der bäuerlichen Wirte, Bauern und Kossäten angegeben. Bei den stark zersplitterten Besitzanteilen in den Dörfern werden häufig bei einem Besitzer seine Anteile in andern Ortschaften zugleich abgetan, so daß einzelne Siedlungen in der Reihenfolge gar nicht erscheinen, weil ein Rittersitz nicht vorhanden war. Die Amtsdörfer sind in dieser Untersuchung nicht vorhanden. Die ganz trostlosen Verhältnisse von 1645 haben sich in wenigen Jahren wohl zum Teil gebessert, aber vielfach blieben die einzelnen Siedlungen Ruinen. Die großen Bauerndörfer der Ritterschaft waren eben vernichtet und blieben es, ja die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit zerstörten noch manches von dem Rest. Nach Schluß des 30jährigen Krieges haben wir vom Februar 1649 ein fast vollständiges Verzeichnis der Belgardischen Untertanen. Siedlungsgeschichtlich ist es wohl das wertvollste Quellenmaterial kurz nach dem Kriege. Es enthält auch die Dörfer des Belgarder Amts. Von der Ritterschaft fehlen nur wenige Ortschaften. Wir erfahren die genaue Zahl der Rittersitze, Vorwerke, der besetzten und wüsten Höfe, wobei aber bemerkt werden muß, daß die Angabe der wüsten Höfe sich durchweg nur auf die Zeit des Krieges bezieht. Die vorher gelegten Höfe sind vielfach in dieser Zahl nicht enthalten.

Das Verzeichnis der Untertanen bringt uns auch die Einwohnerzahl und zwar in einer Form, die einer neuzeitlichen Volkszählung gleichkommt. Für die Amtsdörfer haben wir das Schema: Männer, Frauen, Eltern (Vater und Mutter, also die Altenteiler), Instleute, Knechte, Mädchen und Kinder für jedes Wohnhaus und auch als Summe für die Siedlung. Für die Ritterschaft fehlt die Rubrik für Eltern, ein adliger Besitzer begab sich nicht auf ein Altenteil. Erst nach seinem Tode fand die Erbteilung statt; an dem Lehen waren alle Söhne gleichmäßig beteiligt. Dafür erscheinen aber Junker und Jungfern als unverheiratete Mitglieder der Familie. Aeußerst wertvoll für den Besitz der bäuerlichen Wirte in dem Verzeichnis von 1649 ist aber die Anordnung der Besitzer in der Dorfschaft. Sie erfolgt hier nicht wie in den späteren Domänenakten und den Akten der adligen Besitzer nach der Rubrik: Schulz, Bauer, Halbbauer, Kossät, sondern nach ihrer natürlichen Reihenfolge im Dorf. Die Zählung nahm ihren Anfang bei dem Schulzen und ging von dort aus der Reihe nach im Dorf herum, so daß der Kossät an der Stelle erscheint, an der sich seine Hoflage im Dorf befand. Den Schlüssel für die Bestimmung des Besitzes von 1649 gibt die Lage des Schulzenhofes. War es ein Freischulzenhof, so ist es ein Leichtes, den Anfang der Zählung zu bestimmen. Aber auch bei Dienstschulzen hat der Hof selten gewechselt. Waren in dem Dorf mehrere Kossätenhöfe, die verstreut zwischen den Bauern lagen, so läßt sich auch heute noch der damalige Besitzer eines jeden Hofes festlegen. Für die Ritterschaft liegen diese Dinge schon etwas schwieriger, weil auch hier die Höfe nach den Besitzanteilen aufgeführt werden. Aber innerhalb der Anteile erfolgt die Angabe der Höfe nicht nach ihrer Gattung, sondern nach ihrer Lage. Nimmt man an, daß in den meisten Fällen die einzelnen Anteile zusammenhängend waren, so ist auch dort noch eine Festlegung des Besitzes möglich, vorausgesetzt, daß nicht große Störungen im Siedlungsbilde von 1649 eingetreten sind.

Um nun bequem Vergleiche zwischen dem Zustand von 1645 und 1649 zu ziehen, bringe ich die Verhältnisse in den einzelnen Siedlungen zusammenhängend in der Folge Staatsbesitz, Stadteigentum und Ritterschaft. Dabei werden für jeden Besitzer die Höfe durchlaufend mit Nummern versehen, bei den Kossätenhöfen aber die Bezeichnung „Ko.“ hinzugefügt. Damit wir aber ein klares Bild von der Siedlung gewinnen, füge ich die von mir ermittelte größte Zahl der Höfe, wo möglich mit Jahreszahl, hinzu. Um aber auch die weitere Entwicklung zu verfolgen, fügen wir noch einen Zustand aus dem 17.Jahrhundert hinzu:

a. Staatsbesitz

Boissin Darkow Denzin Kösternitz Lenzen Pumlow Pustchow Redlin Roggow Silesen Vorwerk

b. Stadteigentum

Klein Panknin Klempin Lülfitz Neue Schäferei Rostin

c. Ritterschaft

Teil 1

Battin Bergen Bulgrin Burzlaff Butzke Damen Döbel Drenow Ganzkow Gr. Dubberow Gr. Reichow Gr. Tychow Gr. Voldekow Grüssow Kamissow Kl. Dubberow Kl. Krössin Kl. Rambin Kl. Reichow Kl. Voldekow Kowalk Muttrin Latzig Lenzen

Teil 2

Mandelatz Naffin Natztow Podewils Pumlow Rarfin Ristow Sager Schinz Schmenzin Siedkow Standemin Tietzow Vietzow Warnin Wold. Tychow Wutzow Zadtkow Zarnefanz Zarnekow Zietlow Vorwerke: Dimkuhlen Krampe Lindehoff

Ich habe die Familiennamen in der Form gebracht, wie sie die Quellen enthalten. Die Formen waren schon damals schwankend und haben sich im Laufe der Zeit vielfach geändert. Interessant ist es, wie man zu damaliger Zeit durch verschiedene Schreibweise die Familien aus dem gleichen Geschlecht durch verschiedene Schreibweise die Familien aus dem gleichen Geschlecht im Dorfe zu unterscheiden versuchte. Das bezieht sich nicht nur auf den Anlaut und die Vokale, sondern auch auf die Endungen. Im Anlaut wechseln besonders G und J , S und Z, B und P.Daneben traten eine Reihe Kürzungen durch Weglassung eines Vokals oder ganzer Silben auf. So haben wir für ein und dasselbe Geschlecht dann später die verschiedensten Namen. Für unser Gebiet führe ich als Beispiel an: Pawel, Pagel, Paul – Jesche, Gesche, Jesch, Gesch, Jeske, Geske – Götzke, Getzke – Mesche, Mische, Masche, Meske, Mischke, Maske – Vensche, Venske, Ventzke – Tesche, Tesch, Tetzke, Teske – Jante, Jantze, Janzen – Schlasche, Schlacke, – Rogg, Rogge, Roggow – Mandeke, Manike, Mancke – Jandike, Gandike, Jancke – Junike, Junke – Rettemer, Reddemer, Reitmer, Radmer – Zulike, Zuleke, Zülcke, Zühlke – Tabud, Dabud, Tube – Prit, Priebe, Priebke.

In einzelnen Fällen können die Quellen uns allein über den Namen aufklären, so z.B. wenn aus der ursprünglichen Form Labentz über Lappaß, Labbatz die Formen „Batz“ und „Labs“ entstanden sind, oder wenn aus Godejahr, Jodjahr der heutige Name „Gauger“ sich gebildet hat.

Bei der Feststellung der Geschlechter in der Stadt Belgard und dem ländlichen Distrikt fällt uns sofort eine starke Übereinstimmung auf. Ueber ein Drittel der städtischen Familien finden wir in den Ortschaften der näheren Umgebung. Gehen wir über diese Grenzen, besonders nach Norden in das Fürstentumer Gebiet, hinaus, so wird dieser Bruchteil bedeutend größer. Diese Tatsache ist kennzeichnend für das Kolonialgebiet des Ostens. In der großen Kolonisation waren Bürger und Bauer gleichwertig und gleichberechtigt. Der Bürger ging als Bauer in das Dorf und der Bauer als Bürger in die Stadt und das zu einer Zeit, als in dem urdeutschen Gebiet die Kluft zwischen Stadt und Land schon sehr groß war, als man in den Städten geringschätzig auf den Bauern herabsah. So blieb es bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Erst mit der beginnenden Unfreiheit der Bauern wurde es anders. Wohl kaufte sich mancher Bauer von seiner Herrschaft los und wurde freier Bürger der Stadt, aber kein Bürger hatte Verlangen, sich in die Untertänigkeit eines Grundherrn zu begeben.