Schivelbein / Swidwin

Über dem Anfang der Stadt Schivelbein liegt Dunkel. Man vermutet mit ziemlicher Sicherheit, daß auf der Rega-lnsel, die heute das Schloß trägt, ein wendischer Burgwall lag. Ob aber die andere Insel, die heute von den alten Stadtteilen eingenommen wird, schon zur Wendenzeit bewohnt war, bleibt fraglich. Man ist auf das Gebiet sprachwissenschaftlicher Forschung angewiesen, deren Resultate heute noch hart umstritten werden. Einig sind sich alle Forscher darin, daß der Name Schivelbein deutsch ist, wenn auch mit wendischem Anklang. Dabei hat die meiste Wahrscheinlichkeit die Deutung: Schiwe = Scheibe, bein = bagno (slawisch = Sumpf), also Scheibe im Sumpf, und jeder Kenner der Stadtanlage muss dieser Deutung recht geben. In einer hochdeutschen Urkunde wird 1443 die Stadt „Scheibelbeyn“ geschrieben, offenbar in dem Bestreben, die Wortbedeutung genau wiederzugeben.

Ins Licht der Geschichte tritt Schivelbein im Jahre 1280, wo es in einem Grenzvertrag zwischen den Markgrafen von Brandenburg und dem Bischof von Kammin genannt wird. Dass der Ort brandenburgisch wurde, soll folgendermaßen zugegangen sein: Im Jahre 1248 gab der Herzog Barnim der Gute von Stettin dem Bischof Hermann von Kammin das Land östlich der Persante sowie die angrenzenden Burgbezirke Podewils und Concrine (Stolzenberg). Zu dem letzteren gehörte der heutige Kreis Schivelbein. Dessen südlichen Teil aber beanspruchten die brandenburgischen Markgrafen, die in der Neumark festen Fuß gefasst hatten. Um das Jahr 1266 oder 1268 scheint der Bischof den südlich der Rega gelegenen Teil seines Burgbezirkes an die Markgrafen verkauft zu haben, um vom Pommernherzog den westlichen Teil des Kulberger Landes zu erhandeln. Schivelbein wurde damit der nördlichste Punkt brandenburgischen Besitzes und daher gesichert. Auf den Überresten des wendischen Burgwalles entstand das feste Haus der Markgrafen. Auf der langgestreckten Nebeninsel weidete das Vieh der Burgmannen, bis deutsche Ansiedler herbeizogen und sich im Schutze der Burg niederließen.


Im Jahr 1280 trug das Land ringsumher bereits den Namen Schivelbein; 1292 war der Ort schon eine befestigte Stadt. Das älteste Stadtsiegel soll allerdings die Jahreszahl 1296 getragen haben; aber das kann auch das Jahr der Bewidmung mit dem Stadtrecht sein.

Die Stadt hatte anfangs eine Vogtei-Verfassung mit einem von der Bürgerschaft gewählten Rat. An Land waren 164 Hufen vorhanden; die Mühle am Kussenowschen Weg (heute Papiermühle) gehörte schon der Stadt. Das erste Gotteshaus, die Kapelle „Zum heiligen Geist“, stand in der heutigen Hospitalstraße. Um den Markt herum lagen mit schmaler Vorderseite die einzelnen Gehöfte; der Raum für die Kirche war an der einen Ecke ausgespart. Zwei Zugangsstraßen, die aber nicht einen geraden Straßenzug bildeten, führten von den Eingängen zur Stadtmitte. Dort erhob sich das Rathaus, von dem aus sich die Bürger durch ihre vier gewählten „Bürgermeister“ im wesentlichen selbst regierten. Die Stadtherren – seit 1319 die Wedels – beschränkten sich auf das oberste Gericht und einen Teil der Markt- und Zolleinnahmen. Dafür aber bauten sie Tore und Mauern aus, schufen die Kirche der heiligen Maria 1338, gaben dem Pfarrer Kost und Wohnung im Schlo߬ schützten den Vieh- und Kornhandel der Schivelbeiner Bürger, legten die Schlossmühle an und sorgten für Ordnung und Frieden zu einer Zeit, als Fehde und Raub allerorten herrschten. Leider verarmte Hans von Schivelbein, der letzte Stadtherr Wedelschen Geschlechts, und mußte sein Land 1384 an den Deutschen Ritterorden verkaufen.

Das Schloss

Mit der Ordensherrschaft brach für Stadt und Land eine böse Zeit herein. Keine starke Hand wehrte den ewigen Räubereien der Leckows, Borkes, Manteuffels, da der Orden genug zu tun hatte, seine Grenzen gegen Polen zu halten. Zwar baute der Orden die Burg aus, aber das schuf keinen Verdienst für die Schivelbeiner Bürger, sondern nur Fronarbeiten und Steuerlast. Dabei lag der Handel darnieder, und das Korn verdarb oft durch schlechte Witterung. Endlich riss den Schivelbeinern die Geduld, sie baten Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg, sie in seinen Schutz zu nehmen. Das geschah dann 1455, und von da ab blieb Schivelbein brandenburgisch. Kurze Zeit vorher hatte der Ordensmeister Konrad von Erlichshausen noch das Karthäuser-Kloster an der Rega gestiftet, und die Stadt hatte zwölf Hufen des Stadtfeldes den Mönchen abgetreten.

Der Bismarckturm

Auch unter der brandenburgischen Herrschaft wollte der Friede zunächst nicht einkehren; das machten die Erbfolgestreitigkeiten mit den pommerschen Herzögen. Schivelbein litt durch die Verhinderung seines Handels nach Pommern. In diesem Zusammenhang fällt der Krieg mit Belgard, der um kleiner Ursache willen entstand und mit der Niederlage der Belgarder auf der Langenschen Heide endete. Der Ring im Steintor soll aus dieser Zeit stammen, er soll aus dem Halsring des Reitochsen geschmiedet sein, auf dem der Belgarder Bürgermeister saß. Das „Fähnlein“ der Belgarder wurde in der Kirche aufgehängt. Das ist die letzte Waffentat des Schivelbeiner Bürgertums im Mittelalter gewesen. Fast 160 Jahre herrschte Frieden. In dieser Zeit nahm die Stadt an Volkszahl bedeutend zu, wenngleich die Pest im Jahre 1550 über ein Drittel der Bevölkerung hinwegraffte. Es wuchs der Wohlstand der 74 Brauer, die das umliegende Land und die Städte Regenwalde, Köslin und Polzin mit Bier versorgten. Es zogen aber auch viele arme Leute von dem Lande in die Stadt, wo sie sich Budenhäuser bauten oder zur Miete in dumpfer Stube hausten. Häuser und Höfe lagen daher eng aneinander; die Schmutzwasser liefen auf die Straße, die – ohne Pflaster – zur Regenzeit einem Sumpfe glich. Zwar waren seit 1540 die Scheunen aus der Stadt hinausverlegt und am „Rosengarten“ und an der Dramburger Landstraße aufgebaut. Aber doch kamen öfter Brände auf, die die gesamte Stadt bedrohten. Am schlimmsten war wohl der Brand von 1619, der das gesamte Stadtviertel zwischen Steintorstraße, Markt, Kirche und Mauer fraß. Kaum war der Schaden einigermaßen beseitigt, da kam der Dreißigjährige Krieg.

Die Steintorstrasse

Vorher aber hatte sich noch ein Wechsel auf dem Schloß vollzogen. Markgraf Hans von Küstrin, dem seit 1535 die Neumark gehörte, vertauschte bei der Einführung der Reformation seine Güter im Schivelbeiner Lande gegen die Johanniter-Komturei Quartschen, und so zog ein Johanniter-Ordensmeister, Komtur genannt, als Landvogt ins Schloß. Diese Komture, denen die Aufsicht über die Stadt zustand, haben für Schivelbein segensreich gewirkt; sie handhabten das Gericht als Berufungsinstanz, prüften die rathäuslichen Rechnungen und die Verwaltung der Kirchenkasse, ernannten die Superintendenten, sorgten für städtische Arme und gaben durch ihre immerhin vornehme Hofhaltung den Schivelbeiner Handwerkern Verdienst.

Die Synagoge

Den Komtur Georg von Winterfeld traf das schwere Schicksal des Dreißigjährigen Krieges, da die Schweden 1635 die Komturei beschlagnahmten und den Inhaber zwangen, nach Tempelburg ins Polnische zu fliehen. Er war nicht der einzige Schivelbeiner, der dort Zuflucht suchte. Seit Martini 1627 hausten die Wallensteiner in Stadt und Land, da begannen schon Bürger zu entlaufen; 1630 kamen die Schweden. Um die Stadt entbrannte ein harter Kampf. Die Schweden konnten die Stadt nicht halten, sie zogen sich in das Schloß zurück und zündeten, um freies Schussfeld zu haben, die Häuser und Gehöfte der benachbarten Straßen an, so daß fast die Hälfte der Stadt in Asche sank. Weil die Kaiserlichen das Schloß trotz dreitägigen Kampfes nicht nehmen konnten, zogen sie ab, brannten aber vorher die Scheunen außerhalb der Stadt mit der gesamten Ernte des Jahres nieder. So flüchteten manche Bürger nach Polen. Sie entgingen den Leiden der Zurückbleibenden in den Schwedenjahren 1635 bis 1643, wo Totschlag, Hunger und Pest die Bevölkerung mit reißender Schnelligkeit verminderten. Am Kriegsende hatte die Stadt ungefähr dreißig Vollbürger gegen 197 am Anfang und höchstens dreißig Wohnhäuser gegen 250 im Jahre 1619.

Badestelle am Buchholzsee

Der Aufbau nach dem Kriege ging sehr langsam vonstatten, es fehlten die Menschen. Schwer drückten Steuern und Schulden, so ernährten sich die Bürger mühsam von Ackerbau und Viehzucht. Handel und Verkehr hatten fast ganz aufgehört. Erst die Einführung der Akzise, einer Verbrauchssteuer, half ein bisschen, daß der Steuerdruck weniger hart gefühlt wurde. Man atmete gerade ein wenig auf, da kam der große Brand von 1689, der fast die gesamte Stadt, Kirche und Rathaus in zwei Tagen niederlegte. Der Kurfürst suchte zwar zu helfen durch Kollekte, Bauholz und Steuererlass, aber noch im Jahre 1713 lagen über 70 Stellen wüst. Erst 1719 hatte die Stadt wieder 522 Seelen. König Friedrich Wilhelm l. griff ein. Er gab 23 von Hundert Baufreiheitsgelder, verlangte aber, daß der Magistrat ohne Zögern an den Aufbau der Stellen herangehe. So wurden dann bis 1728 dreiunddreißig Häuser neu gebaut. Sechsundvierzig Familien zogen zu. Mit diesem Zuzug kam das Gewerk der Tuchmacher in Schivelbein empor. Meister Krautwadel erbaute dafür 1724 die Walkmühle an der Rega. Bald hatte das Gewerk zwanzig Meister, denen sich achtzehn Raschmacher anschlossen. Es gewann solchen Einfluss, daß der zweite Bürgermeister oft genug aus seinen Reihen genommen wurde. Die Tuchmacher waren bis zum Ende des Jahrhunderts der führende Stand in der Bürgerschaft.

Die nächstmächtige Innung war die der Schuhmacher, die fünfzehn Meister zählte. Dann kamen elf Schmiede-, neun Schneider-, fünf Weber-, vier Bäcker-, vier Töpfer-, drei Tischler-, drei Böttcher-, zwei Kürschner-, ein Zimmer-, ein Malermeister, ein Drechsler und ein einziger Schlachter. Man sieht aus dieser Zusammenstellung, wie die Bürger zumeist selbst ihr Land bebauten, ihr Schwein fütterten und schlachteten, Wolle und Flachs selber verarbeiteten und sehr wenig Sinn und Bedürfnis für Hausrat und Behagen hatten. Die Bierbrauerei war stark zurückgegangen (nur drei Böttcher), Schuhmacher, Tuchmacher, Schneider, Kürschner, Töpfer und Tischler lebten mehr von dem Ertrage ihrer Landwirtschaft als von dem des Gewerbes. Doch langsam hob sich der Wohlstand und damit Lebensmut und Selbstbewusstsein. Das sieht man an der Neugründung der Schützengilde 1743. Wenige Jahre später hatte die Stadt 1129 Einwohner.

Die Mühlenstrasse

Schwere Hemmungen brachte der Siebenjährige Krieg, der die Russen von 1759 bis 1762 im Lande sah. Zwar lagerten die Feinde meistens im Buchholz, aber die Offiziere verlangten städtisches Quartier, und die Lasten der Bewirtungen und Lieferungen sogen die Bürger vollständig aus. Verschiedentlich schwebte die Stadt in der Gefahr, angezündet und ausgeplündert zu werden, so 1760, als Tottleben die Stadt brandschatzte und sie ihre Bürgerwiesen verpfänden und außerdem noch 100 Taler borgen mußte. Erst 1784 konnten die Kriegsschulden abgetragen werden. Gegen Ende des Jahrhunderts zählte die Stadt wieder 1600 Einwohner, hatte also die Volkszahl vor dem Dreißigjährigen Krieg annähernd wieder erreicht. Da war der Mauerring denn bald so eng wie dem Jüngling der Rock, den er als Knabe getragen. Aber befangen in mittelalterlichen Vorurteilen mit Zunftzwang und Flurzwang, „mit Handwerks- und Gewerbesbanden“, gewöhnt ans Gehorchen und Regiertwerden von oben her, ohne eigene Entschlusskraft und genügenden Weitblick, hausten die Schivelbeiner in der engen Stadt mit den schmalen Straßen, mit dem Rathaus mitten auf dem Markt und dem Friedhof rund um die Kirche. Erst 1787 trug man die Erdwälle vor der Mauer zwischen Steintor und Rega ab und füllte den sumpfigen Stadtgraben damit aus. Zwei Jahre später vollzog sich dasselbe Geschehen mit dem Walle der entgegengesetzten Richtung, und hierhin, auf die Sohle des ehemaligen Walles, verlegte man den Friedhof. Damit waren aber auch die Neuerungen erschöpft; es war eine neue Notzeit erforderlich, um die Reste des Mittelalters zu überwinden.

Schivelbein auf der von Schmettau`schen Karte von 1780

Die Franzosen kamen, und wieder senkten sich Leiden auf Stadt und Land. Einquartierungen, Lieferungen und Kriegssteuern schwemmten in kurzer Zeit die Früchte des Fleißes von fünfzig Friedensjahren hinweg. Der Magistrat berechnete die Kriegsverluste der Stadt in der Zeit vom 8. November 1806 bis 3. November 1808 auf 51872 Taler. Das hatte ein erbarmungsloser Feind aus der immerhin doch armen Landstadt herausgepresst. Die Geldnot zwang die Stadt zum Verkaufe ihres Landbesitzes, und so wurden die städtischen Bauern frei, der Stadthof kam in Erbpacht, das Vorwerk Nemmin ging in die Hand des Schulzen Ponath aus Nelep über. Zugleich setzten die Steinschen Reformen ein. Die Schivelbeiner Schlossmühle hörte auf, Zwangsmühle zu sein, die Städteordnung wurde erlassen und ausgeführt, die beiden Stadtkassen mussten zusammengelegt werden. Schivelbein wählte 24 Stadtverordnete, der erste Bürgermeister wurde Konrektor Plieth.

Wenn auch die Bürger für die neuen Aufgaben, die ihrer harrten, noch nicht vorgebildet waren, so wurde doch durch die Selbstverwaltung eine gewaltige Summe von Kraft frei. Und wie die Freiheitskriege zum glücklichen Ende geführt waren, wie die Kämpfer mit neuen Eindrücken aus deutschen und französischen Landschaften nach Hause kamen, wo die Wohnungsnot und der Mangel an Luft, Licht, Raum und Sonne gefüllt wurden, da sprengte die Stadt den Mauerring. Die drei Gräben wurden ausgefüllt, die Außenseite der Acker-, Baum- und Gartenstraße wurde bebaut, und die Neustadt entstand auf dem früheren Grunde sumpfiger Wiesen. Das Mühlentor fiel, nur das Steintor blieb wegen seiner Schönheit und merkwürdigen Bauart erhalten. Neues Leben, geistiges und wirtschaftliches, spross überall hervor. Die Bevölkerungsziffer stieg von 1513 Seelen im Jahre 1811 auf 5043 im Jahre 1861. In dem kurzen Zeitraum von fünfzig Jahren vollzog sich der Übergang von der vorzugsweise Ackerbau treibenden Landstadt zur gewerbefleißigen Handelsstadt.

In dieser Zeit verschwand ein Stand ganz: die Tuchmacher. Sie konnten mit den aufkommenden Tuchfabriken, die den Dampf oder die Wasserkraft ausnutzten, nicht in Wettbewerb treten. Sie hatten ihr Einkaufs- wie ihr Absatzgebiet nur rund um Schivelbein, wo die Schafzucht zugunsten einer intensiveren Landwirtschaft mehr und mehr zurückging. Und dann fehlte wohl der großartige Unternehmungsgeist. Dagegen kam ein Stand hoch; das waren die Kaufleute. 1811 zählte man vier, 1861 aber 26, dazu 44 Händler. Die Zahl der Schuhmacher erhöhte sich von 42 auf 70, was ungefähr dem Bevölkerungszuwachs im Kreis entsprach: 8751 zu 14257. Die Tischler dagegen hatten sich von fünf im Jahre 1811 auf 25 im Jahre 1861 vermehrt. Acht Schlosser hatten sich von den Schmieden abgezweigt; acht Sattler waren neu hinzugekommen. Schneider gab es 23 statt elf. Ein Stand, den wir heute vermissen, gab dem städtischen Leben eine besondere Farbe. Seit 1816 lag das Stamm-Bataillon des 9. Landwehrregiments hier im Bürgerquartier. Der Kommandeur bewohnte einen Teil des Schlosses, dessen Hauptgebäude zum Zeughaus eingerichtet wurde. 1825 wurde auch die Hauptsteuerdirektion dahin gelegt.

Stadtmusikkapelle Schivelbein 1929 unter der Leitung von Stadtmusikdirektor Arthur Zummach

Das wichtigste Ereignis dieser Zeit war wohl die Gemeinheitsteilung 1838. Die gesamte Feldmark wurde aufgeteilt, und nun zogen viele Ackerbürger auf das Stadtfeld hinaus; Neuschivelbein entstand. Das Rittergut wurde nach dem Polchleper Wege bei dem Buchholzsee verlegt; der Stadthof bei dem Kloster brannte ab und wurde an der Klützkower Chaussee neu aufgebaut; auf dem Klosterfelde entstand Neu-Wachholzhausen. Auch das Schloß Vorwerk wurde aufgeteilt, aus dem größten Teile wurde Neu-Pribslaff. Durch diese Aufteilungen erwuchsen rund um Schivelbein eine Menge bürgerlicher Wirtschaften, die ihre Erzeugnisse in der Stadt absetzten und die in der Mehrzahl landlosen Bürger mit Lebensmitteln versorgten. Wie sehr die Schivelbeiner darauf angewiesen waren, zeigt schon die Einrichtung der Wochenmärkte 1828. Zugleich bekam das Geschäftsleben davon einen lebhaften Antrieb. Aber der Handel hatte auch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Schivelbein lag ganz abseits vom Verkehr. Erst 1846 bis 1848 wurde eine Provinz-Chaussee von Stargard nach Polzin über Schivelbein gebaut. Auf dieser Straße mussten die starken Planwagen die Waren heran- und fortschaffen. Darum wurde der Bahnbau eine Notwendigkeit, und die verständigen Bürger sorgten dafür, daß der Bahnhof nicht zu weit von der Stadt entfernt angelegt wurde. Im Jahr 1859 konnte er eingeweiht werden, und nun entwickelte sich nach dieser Seite ein neuer Stadtteil.

Die auf 1861 folgenden Jahre brachten nur geringen Zuwachs der Bevölkerung. In den dreißig Jahren bis 1891 stieg die Zahl der Einwohner nur auf 5935, also um 18 Prozent, was kaum dem natürlichen Bevölkerungszuwachs entsprach, vermehrte sich doch die Zahl der Kreis-Insassen um rund 33 Prozent. Es ist aber kaum anzunehmen, daß nur die ansteckenden Krankheiten Schuld daran trugen.

Im Jahre 1866 waren allerdings 320 Personen gestorben, davon 200 an Cholera, 1868 starben eine Menge Kinder an Scharlach. Aber diese Epidemien konnten sich bis 1891 nicht bemerkbar machen. Es muss vielmehr vermutet werden, daß ohne neue bedeutende Industrien für mehr Menschen ein Broterwerb unmöglich war. Wenn aber auch die Bevölkerungszahl stillstand, so hatte damit doch nicht der Fortschritt aufgehört.

Da war zum ersten die Schule. Die Schivelbeiner Stadtschule, gegründet 1540, hatte Jahrhunderte hindurch zwei Lehrkräfte, den Rektor und den Konrektor; seit Ende des 18. Jahrhunderts war eine Privatschule mit einem dritten Lehrer eingerichtet. Diese wurde 1819 angegliedert, und dann war die Schule gewachsen auf 1028 Kinder und zwölf Lehrer im Jahre 1861. Darum wurde 1862 das neue Mädchenschulhaus bei der Kirche erbaut, 1866 die Knabenschule aus dem Hause in der Mühlenstraße nach dem früheren Kirchhof rechts vom Steintor verlegt. Aus dem alten Schulhaus wurde das jetzige Rathaus, das alte Rathaus auf dem Markt wurde abgerissen, um mehr Licht und Luft in der Stadt zu gewinnen. Der Fortschritt ging weiter. Die Volksschulbildung genügte vielen Bürgern nicht für ihre Kinder, darum wurden zwei gehobene Klassen eingerichtet, 1869 trat die dritte hinzu. Auch damit war man nicht zufriedengestellt und beschloss, ein Gymnasium zu gründen; aber der Kultusminister verneinte die Bedürfnisfrage. Dafür kam 1877 die Landwirtschaftsschule zustande; 1881 wurde im „Rosengarten“ der Grundstein gelegt. Diese Schule hat für Kreis und Stadt unendlich segensreich gewirkt, und eine große Zahl tüchtiger Landwirte und Bürger verdanken ihr die Grundlage ihres Wissens und Wesens.

Der Markt mit Hotel Monopol

Wenn man von dem geistigen Aufschwung der Stadt in den Jahren bis 1891 redet, dann darf man die Presse nicht vergessen. Am 14. April 1866 kaufte Franz Waldow aus Flatow die Buchdruckerei von Köhn und übernahm die Redaktion der „Schivelbeiner Kreiszeitung“, die durch die ganze lange Zeit ihres Bestehens ein gut Teil Volkserziehungsarbeit geleistet hat. Zu dieser Arbeit gehört auch das gute Buch, und so entstanden am Orte heute noch blühende Buchhandlungen. Der Fortschritt ?ertrug sich auf die Handwerker. Im Jahr 1875 gründeten sie die Fortbildungsschule, um ihren Nachwuchs tüchtiger zu machen. Im Handwerker-Verein wurden ständig belehrende Vorträge gehalten; so mußte 1872 Professor Virchow zu einem Vortrag kommen. Wie sehr man den berühmten Arzt und Fortschrittsmann schätzte, bewies man durch eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus zur Feier seines 60. Geburtstages 1881. Der Bildung und dem Fortschritt dienten die Vereine alle, die in den Jahren bis 1891 gegründet wurden. Der Vaterländische Frauenverein fasste 1868 hier Fuß» der neue Turnverein bildete sich 1876, der ornithologische Verein wurde 1879 ins Leben gerufen, der Verschönerungsverein 1877, der Bürgerverein für Stadtinteressen 1888.

So sah man an der Stadtentwicklung die fortschrittsfreudige Gesinnung der Bürgerschaft. Daher duldete sie auch den baulich schlechten Zustand ihres Gotteshauses nicht länger, es wurde 1881 gründlich ausgebessert, die Kanzel verlegt, eine neue Orgel und das Altarbild wurden angeschafft. Schon vorher hatte die jüdische Gemeinde eine neue Synagoge erbaut, und zwar an der Neuen Straße, die 1877 vom Markt bis zur Dramburger Straße durchgebrochen worden war. Seit 1864 hatte man drei Ärzte, 1879 wurde eine Kreistierarztstelle geschaffen, 1883 zog ein Rechtsanwalt hierher, dadurch die Justizorganisation von 1879 Schivelbein zwei Amtsrichter bekommen hatte. Mit diesem Bilde des gesunden Fortschritts harmoniert die Entwicklung der Städtischen Sparkasse. Sie konnte 1889 ihren Zinsfuß auf drei Prozent heruntersetzen, ein Zeichen, daß es Geld genug gab. Man war sparsam bei großer Arbeitsleistung, zufrieden mit kleinem Verdienst und glücklich bei geringen Ansprüchen. Es gab keine wirklich reichen Leute in Schivelbein, es gab aber auch keine wahrhaft große Not.

Je näher wir der Gegenwart kommen, desto schneller wird das Tempo der städtischen Entwicklung. Die alten Giebelhäuser im Fachwerkbau fallen ihr zum Opfer und machen modernen Laden- und Geschäftshäusern Platz mir ihren Fronten aus Glas und Eisen. Es gibt fast kein einstöckiges Haus mehr, und durch die größere Höfe der Häuser wird der Eindruck erweckt, als ob die Straßen schmal seien. Das Steintor steht noch und engt trotz seinereinseitigen Freilegung den Verkehrein. Wer weiß aber, wie lange es noch der ständigen Erschütterung durch die schweren Lastkraftwagen standhält. Der Kaiserplatz, vordem eine Sandwüste, ist zum Blumengarten geworden und grünt hinüber zum Reformrealgymnasium, das aus der Landwirtschaftsschule entstand. Die Bahnhofstraße folgt jetzt der Entwicklung, die Mühlen-, Kirchen- und Steintorstraße durchgemacht haben; man sieht nur noch Laden an Laden, Geschäft an Geschäft. Industrien sind daneben entstanden:

Essig- und Mostrich-, Mühlen-, Säge-, Ziegel- und Kalksandsteinwerke, die ständig mehr Arbeiter beschäftigen. Die Zahl der Einwohner ist nach dem Krieg auf rund 9200 angewachsen. Sie alle wollen wohnen „frei von der Gassen drückende Enge“; und so wächst die Stadt längs der fünf Chausseen gleich den ausgestreckten Fingern einer Hand in die Landschaft hinein.

Der Marktplatz

Große Pläne sind noch im Werden; daß sie noch nicht ausgeführt sind, liegt an der sinkenden Konjunktur unserer Wirtschaft. Nachdem alle Häuser mit Gas und Elektrizität versorgt sind, schaut man nach Kanalisation und Wasserleitung aus, eine hygienische Notwendigkeit für die tiefgelegene Innenstadt. Durch öffentliche Bauten (Turnhalle, Jugendheim usw. unter dem Gedanken der Krieger-Ehrung) hofft man, der Arbeitslosigkeit zu begegnen. Eine Umgehungsstraße soll den Hauptstraßenzug entlasten und dem Mangel der mittelalterlichen Stadtanlage abhelfen. Noch beherrschen Wirtschaftsfragen das tägliche Leben; aber es kündet sich schon wieder die Zeit an, wo geistige Interessen im Vordergrund stehen werden, und wo das ganze städtische Wesen getragen wird von den Begriffen „Fortschritt und Gemeinwohl“.

Schivelbein auf der topographischen Karte 2260

Quellen:
Ludwig Kortlepel in Deutschlands Städtebilder: Schivelbein, Leipzig 1929
Schwarzweißfotos von Ulrich Bulgrin

Stadtplan von Schivelbein

Verzeichnis der Hausbesitzer Schivelbein vom 12. Juli 1824

Die Schivelbeiner Gefallenen des 1. Weltkriegs

Die Schivelbeiner Pastoren und Diakone

Beerdigungen 1925 – 1935

Die jüdische Gemeinde

Aus der Geschichte der Kreise Schivelbein und Belgard

Absolventen der Städtischen Landwirtschaftsschule 1920 / 21

Absolventen der Städtischen Landwirtschaftsschule 1921 / 22

Absolventen der Städtischen Landwirtschaftsschule 1922 / 23

Absolventen der Städtischen Landwirtschaftsschule 1923 / 24

Absolventen der Städtischen Landwirtschaftsschule 1924 / 25

Absolventen der Städtischen Landwirtschaftsschule 1925 / 26

Mitarbeiter der Post 1935

Mitarbeiter der Telegraphenbauabteilung 1935

Personal Bahnhof Schivelbein 1935

Männergesangverein „Eintracht“

Adressbuch Schivelbein 1925 / 26 (externer Link)

Die Stadt Swidwin (externer Link)     Der Landkreis Swidwin (externer Link)

Informationen über Swidwin und die Umlandgemeinden (externer Link)

(Internetowy informator miasta Swidwina i powiatu)

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